Wir nehmen euch mit auf einen ersten Orientierungsspaziergang durch die Hauptstadt der Ukraine, der vom Maidan bis zum Andreasstieg führt. Auf ca. 4 km Fußweg kommen wir am Hauptplatz Kiews - dem Maidan - sowie zahlreichen farbenfrohen Kirchen und Straßenkunst vorbei.
Ein gelungener und abwechslungsreicher Mix aus Geschichte und moderner Kunst. Wirklich viele Vorstellungen von Kiew hatte ich nicht. Ich habe wohl eher an Plattenbau und Ostcharme gedacht. Eine so gelungene Kombination aus Tradition und lebendiger Moderne hatte ich auf jeden Fall nicht erwartet.
Wie wahr dieses Zitat ist, habe ich natürlich in Kiev selbst erfahren, aber richtig begriffen habe ich es erst, als ich ca. ein Jahr später im Sommer 2018 Rom besucht hatte. In Rom bin ich schon am ersten Tag nicht aus dem Staunen herausgekommen. Hinter der noch so unscheinbarsten Fassade (auch wenn unscheinbar in Rom eher selten ist), versteckte sich Prunk im Übermaß. In der Innenstadt von Kiev erwarten einen zwar nicht ganz so viele Kirchen wie in Rom, sie sind aber nicht minder beeindruckend. Auf dem hier beschriebenen Spaziergang kommt ihr an drei Kirchen vorbei, die mit ihren Farben und den zahlreichen Kuppeln zum Sinnbild Kievs, wenn nicht sogar der ganzen Ukraine, geworden sind.
Maidan - Goldenes Tor (1 km) - St. Michaelis-Kloster (1 km) - Sophienkathedrale (600 m) - Children Landscape Park (500 m) - St. Andreaskirche/Andreasstieg (500 m) - Kontraktowa-Platz (800 m)
Laufstrecke insgesamt: 4,4 km
Wir starten unseren Spaziergang durch Kiew am wohl bekanntesten aller Plätze, dem Unabhängigkeitsplatz bzw. Maidan Nezalezhnosti. Dieser Platz liegt an der Khreschatyk Straße und ist in den letzten Jahren aufgrund der politischen Ereignisse in der Ukraine und Kiew den meisten Menschen wohl einfach unter dem Namen Maidan bekannt.
Wer mag kann vom Maidan aus ca. 1 km südwestlich vom Maidan das Goldene Tor besichtigen, welches früher ein Stadttor der Stadt war. Es wurde im 11. Jahrhundert durch den Großfürsten Jaroslaw der Weise - dessen Statue sich auch vor dem Tor befindet - in Auftrag gegeben. Bis zum 18. Jahrhundert war es der Haupteingang der Stadt und es soll mit golden schimmerndem Kupfer überzogen gewesen sein, daher vielleicht auch der Name. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde es restauriert und es beherbergt heute ein Museum.
In unmittelbarer Nähe zum Tor befinden sich einige bekannte Skulpturen des ukrainischen Künstlers Konstantin Skretutsky. Mehr dazu könnt ihr in unserem Artikel zur Straßenkunst in Kiew lesen.
Den Spaziergang, den wir euch hier vorstellen, könnt ihr wunderbar zu Fuß machen. Nichtsdestotrotz bietet Kiew aber die Möglichkeit, viele Strecken auch mit der U-Bahn zurück zu legen. Auf visitkievukraine.com bekommt ihr einen Einblick in die Streckenführung der U-Bahn und die einzelnen Linien.
Und wenn wir schon einmal dabei sind, hier ein paar interessante Fakten über die U-Bahn in Kiew:
1. Die erste U-Bahn in Kiew startete 1960. Konkrete Ideen dazu sind aber bis zu den 1880er Jahren zurückzuführen. Zu dieser Zeit wurden aber alle "zu innovativen" Ideen von der Regierung zurückgewiesen und zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen viele Projekte durch den 1. und 2. Weltkrieg nicht zustande.
2. Die Station "Arsenalna” ist mit 105,5 m neben den U-Bahnen in St. Petersburg, Moskau und Pyongyang eine der tiefsten U-Bahn-Stationen der Welt und eine der ältesten in Kiew. Schier unendlich lange dauert die Fahrt auf den Rolltreppen in die schummrig beleuchteten Stationen. Interessanter Weise ist die nächste Station danach "Dnipro" schon wieder auf der Höhe des Flusses Dnipro.
3. Die Station "Zoloti Vorota" ist in der Nähe des Goldenen Tors von Kiew und auch nach diesem benannt. Mit ihren zahlreichen Mosaiken zählt sie zu einer der schönsten Stationen Kiews und wenn nicht sogar weltweit (laut BootsnAll).
4. Einige U-Bahn-Stationen in Kiew sind auch Atom-Bunker, die mit Wasserspendern, Lebensmittelvorräten und Toiletten ausgestattet sind.
5. Die Ansagen in den U-Bahnen sind auf Ukrainisch, Russisch und seit 2012 auf Englisch.
6. Aus Sicherheitsgründen gibt es in den U-Bahnstationen keinerlei Abfalleimer - weil sich Abfall schnell entzünden kann. Also warten bis man wieder oben angekommen ist und dort seinen Müll entsorgen.
Die Khreshatyk Straße, an der sich der Maidan befindet, ist ca. 1,6 km lang und wurde bereits im 18. Jahrhundert gebaut. Im 19. Jahrhundert wurde es die Hauptstraße in Kiew von der 1941 nicht mehr viel übrig geblieben ist. Und genau dort wurden nach dem Krieg riesige Gebäude in der Optik der Stalin-Ära errichtet, die auch heute noch das Bild des Maidan so charkteristisch prägen.
Vom Maidan aus gehen wir weiter auf der Mykhailivs'ka Straße entlang. Dies ist eine ca. 500 m lange Straße, die sich langsam pergauf schlängelt. Hier liegt auch die Galerie Gapchinska von der bekannten ukrainischen Künstlerin Eugenia Gapcchinska, in die ich einen kleinen Blick hineingeworfen habe. Die Bilder von Gapchinska kreisen um die Themen Kindheit, erste Liebe und Glück. Und genau diese positive Grundstimmung und Verspieltheit strahlen die Figuren in ihren Bildern auch aus.
Wenn man die Straße weiter nach oben läuft, erscheint auf der rechten Seite ein kleineres farbenfrohes mural der Blueslegende B. B. King.
Am Ende der Straße liegt dann bereits das nächste: ein mural des portugisieschen Künstlers Alexandre Farto welches einen traurigen Hintergrund hat. Dieses mural zeigt Serhiy Nigoyan, die erste Person, die während der Maidan-Revolution am 22. Januar 2014 in Kiew starb.
Und auch in einer Seitenstraße des Maidan befindet sich das wunderschöne mural "Berehynia". Die Künstlerin Mata Ruda stellt mit Berehynia (eine weibliche Figur aus der slavischen Mythologie) ein Symbol für die Schützerin der Heimat dar. Die Frau ist von Sonnenblumen - der Nationalpflanze der Ukraine - umgeben und einem traditionellen Wollschal mit Blumenmustern.
Einen ausführlichen Artikel über die beeindruckende und sehr zahlreiche Straßenkunst in Kiew findet ihr hier.
Die Michaeliskathedrale erkennt man schnell an ihrer intensiven blauen Fassade und den goldenen Kuppeln. Als sie 1108 errichtet wurde, schmückte sie zunächst nur eine Goldkuppel. Damit war sie allerdings auch die erste in der Kiever Rus und somit Vorbild für einige andere Kirchen im Land.
Der Eintritt in die Michaeliskathedrale ist kostenlos. Im Innenraum der Kathedrale herrschte eine angenehme Atmosphäre. Es waren nicht viele Menschen da, das Licht war schummrig und an vielen Ecken wurden Kerzen entzündet. Die zahlreichen Fresken und Mosaike an den Wänden haben dadurch einen besonders mysthischen Eindruck gemacht. Es ist in jedem Fall ein spiritueller Ort, an dem man in so einer geschäftigen Stadt wie Kiev ein wenig zu sich kommen kann.
Der Michaelplatz auf dem die Kathedrale und das Kloster stehen, war während der Revolution 2013 bis 2014 ein zentraler Treffpunkt der Demonstrant*innen. Hier wurden Barrikaden errichtet und zum ersten MAl seit dem 13. Jahrhundert wurde hier während der Räumung des Maidans Sturm geläutet. Die Kathedrale hat zahlreichen Menschen während dieser Zeit Schutz und Asyl geboten. Ein trauriges Bild dieser Ereignisse zeigt das mural am Michaelplatz, welches ich oben bereits erwähnt habe.
Unmittelbar neben dem Michaelis-Kloster liegt mit einem imposanten Betonbau das Kiew ministry of foreign affairs.
Direkt gegenüber der Michaelskathedrale steht die in hellblau getauchte Sophienkathedrale. Ihr Bau wurde bereits im 11. Jahrhunderts begonnen, im Laufe der Zeit wurde sie allerdings mehrfach zerstört, umgebaut und erweitert. Als Vorbild für ihre Errichtung diente nichts geringeres als die Hagia Sophia im damaligen Konstantinopel. Sie wartet mit sieben Kuppeln auf, einem unvergleichlichen Innenraum nach byzanthinischem Vorbild und einem 80 Meter hohen Glockenturm zur Hauptseite des Platzes.
Es ist also nicht verwunderlich, dass die Sophienkathedrale 1990 in die Weltkulturerbeliste der UNESCO aufgenommen wurde und 2007 zu einem der Sieben Weltwunder der Ukraine erklärt wurde. Sieben Weltwunder der Ukraine - noch nie gehört aber neugierig. Hier erfahrt ihr mehr dazu.
Bevor es zu der St. Andreaskirche geht, machen wir noch einen Abstecher in den ca. 500 m entfernten "Children Landscape Park", der 2009 entstand. Mehr Infos zu diesem liebevoll gestalteten Park findet ihr in unserem Artikel zu Straßenkunst in Kiew. So viel sei aber gesagt: Wer Alice im Wunderland mag und selbst ein klein bisschen Kind geblieben ist, wird die Gestaltung dieses Parks lieben. Mir ging es jedenfalls so :-)
Direkt vor der St. Andreas Kirche (ja, wieder eine Kirche, die dritte auf diesem Spaziergang) steht eine Skulptur von einem Paar (Adresse: Andriivs'kyi descent 23). Die Statue zeigt Svirid Petrovich Golokhvastov und Pronya Prokopivna Sirko, zwei Figuren aus der ukrainischen Komödie "Chasing Two Hares" (Ukrainisch: За двома зайцями") von 1961. Der Film spielt genau in diesem Viertel und die Hauptszene findet in der St. Andreas Kirche statt. Die Statue zeigt Svirid auf einem Kniw wie er Pronya seine Hand und sein Herz anbietet. Sie streckt ihm ihre Hand für einen Kuss entgegen.
Wer sich beide Figuren genauer anschaut, wird zwei hell polierte Stellen entdecken. Zum einen den Ring am Finger von Pronya. Wer ihn reibt, dem soll eine baldige Hochzeit bevorstehen. Die zweite Stelle ist der Käfer auf dem Rücken von Svirid. Wer diesen reibt, wird mit Glück und einem positiven Schicksal belohnt. Solche kleinen Glückslegenden haben mich sofort an die Statue des Hundes Bobby in Edinburgh erinnert.
Direkt hinter der Skulptur und vor der St. Andreas Kirche findet meist ein Markt statt. Hier gibt es Matrjoschkas in vielfältigen Varianten - ganz klassich aber auch z. B. mit den Gesichtern bekannter Eishockeyspieler, Toilettenpapier mit dem Konterfei bekannter Politiker oder sehr alte Kameras. Das ein oder andere Mitbringsel für zu Hause lässt sich hier auf jeden Fall finden.
Direkt dahinter ragt die St. Andreas Kirche auf einem Hügel über allem. Die smaragdgrüne Fassade und die vergoldeten Kuppeln sind nicht nur eine Augenweide, sondern geben dem imposanten Bauwerk insgesamt eine gewisse Leichtigkeit, warum sie auch gerne als "fliegende Kirche" bezeichnet wird.
Die St. Andreas Kirche steht am Anfang des Andreasstiegs, eine der ältesten und bekanntesten Straßen Kiews. Hier reihen sich die Straßenkünstler*innen aneinander, es gibt viele kleine individuelle Restaurants und Bars und die alten Fassaden der Häuser entzücken. Aufgrund seines Charmes wird diese Straße oft auch das "Montmartre der Ukraine" genannt.
Von der Oberstadt bis hinunter zum Kontraktowa-Platz, wo es zahlreiche Essensmöglichkeiten und murals zum Bestaunen gibt, sind es ca. 750 m bergab. Auf dem Weg nach unten kann man das beeindruckende mural "Wiedergeburt" des französisch-ukrainischen Künstler-Duos Seth x Kislow nicht verfehlen.