Seit 2014 verändern riesige Malereien an zahlreichen Feuerwänden (sogenannte "murals") in Kiew das Bild der Stadt. Mehr als drei Jahre nach den Bürgerprotesten in der Ukraine (Euromaidan) verarbeiten viele politisch-orientierte lokale KünstlerInnen sowie bekannte StraßenkünstlerInnen aus aller Welt die Vergangenheit sowie Zukunftsperspektiven der Ukraine in beeinruckenden Bildern in der gesamten Stadt und machen auf diesem Wege gleichzeitig allen BürgerInnen beeindruckende Kunst zugänglich.
Mit bereits über 100 bemalten Wänden (und seit 2017 kommen noch zahlreiche hinzu) erregt Kiew große Aufmerksamkeit in der Straßenkunstszene weltweit. Das internationale Kunstprojekt ArtUnitedUs kuratiert die Entstehung neuer murals in Kiew und hat sich den ambitionierten Plan gefasst 200 neue murals nicht nur in Kiew sondern auf der ganzen Welt zu erstellen. Mit diesem Projekt wollen die Beteiligten insbesondere Themen wie Krieg, Aggressionen und Gewalt in den Aufmerksamkeitsfokus der Bevölkerung rücken und zum Dialog anregen.
Um in der mural-Szene in Kiew stets up-to-date zu sein, hat der ukrainische Blogger Sergii Gryshkevych auf kyivmural.com eine interaktive Karte erstellt. Diese Karte zeigt momentan (Stand: August 2017) 144 murals mit Bildern und ihren jeweiligen Standorten. Außerdem wächst die Karte stets weiter, indem jeder Fotos von neuen murals sowie deren Standorten einsenden kann.
Zusätzlich gibt es von Roman Sosnovsky eine App für IOS (Kyiv Murals), die über 100 murals aufführt. Man kann eine Wunschliste von den murals erstellen, die man besuchen möchte, murals finden, die gerade in unmittelbarer Nähe sind und sich mit Google maps, Yandex maps oder Yandex navigator eine Route zum Ablaufen von murals erstellen.
An einem Wochenende war ich in Kiew und konnte nur einen Bruchteil der Kunstwerke betrachten, die die Hauptstadt der Ukraine bereit hält. Hier ist eine kleine Auswahl an murals, die zum Nachdenken anregen, einfach nur begeistern und die Lust auf die Entdeckung von Straßenkunst wecken.
Künstler: Fintan Magee (Illustrator, Designer und Straßenkünstler aus Australien)
Titel: The River Crossing
Straße: Voloska Straße 19/22 (Вулиця Волоська 19/22)
2015 hat der australische Künstler Fintan Magee dieses mural an der Wand eines Gebäudes gemalt, welches für gesundheitliche und epidemiologische Dienstleistungen zuständig ist. Auf dem Bild ist ein Hirsch und ein Mann zu erkennen. Magee fordert damit jeden Einzelnen dazu auf, die Umwelt zu schützen und sich die aktuellen ökologischen Probleme bewusst zu machen. An der Kreuzung der Voloska und Spska Straße gibt es außerdem ein Garten-Projekt, indem AnwohnerInnen dort eigenständig Blumen gepflanzt haben, um die Umgebung zu verschönern.
In einem Interview habe ich gelesen, dass Magee mit dem Bild eine Einheit von Mensch und Natur ausdrücken wollte als auch den Übergang der Ukraine aus der Vergangenheit in etwas neues. Den Fluss zu überqueren, bedeutet Anstrengungen auf sich zu nehmen, weil man weiß, dass auf der anderen Seite eine bessere Zukunft auf einen wartet. Welch adäquateres Symbol hätte er für die Ukraine wählen können?
Künstler: Francisco Rodrigo da Silva (Künstler aus Brasilien)
Straße: Spaska Straße 6а (Вулиця Спаська 6а)
Francisco Rodrigo da Silva, auch als Nunca ("nie" auf portugiesisch) bekannt, malte 2015 dieses mural. Das Bild vereint die ukrainischen und die brasilianischen Kulturen. Auf dem mural sieht man einen ukrainischen Kosaken, auf dessen Gesicht und Nacken Ornamente mit Schminke durch eine dunkelhäutige Hand aufgemalt werden. Beim Erstellen dieses Gemäldes gab es durchaus Schwierigkeiten mit einigen AnwohnerInnenn, die gegen ein Bild auf der Hauswand eines über 100 Jahre alten Gebäudes waren.
Künstler: Alexander Brittsev
Titel: Raben (Courtyard with ravens)
Straße: Reitarska Straße 9
Nach diesem schönen mural von Alexander Brittsev aus Charkiw musste ich erst ein wenig suchen, da es etwas versteckt in einem Innenhof liegt und man erst durch ein Tor gehen musste, welches nicht abgeschlossen war. Anscheinend sind Raben ein Symbol dieses Stadtteils und es gibt einen Innenhof, in dem drei dieser schlauen Tiere - Cyril, Carlos und Corbin - in einer großen Voliäre leben bzw. lebten (Carlos starb 2016). All dies hat Alexander Brittsev zu diesem Wandbild inspiriert. Unter all den vielen schwarzen Raben sieht man auf dem mural einen weißen Raben herausstechen. Laut dem Künstler ist der weiße Rabe ein Symbol für gute Neuigkeiten und das Entstehen neuen Lebens.
Künstler: Guido van Helten (australischer Künstler)
Titel: Lesya Ukrainka
Straße: Striletska Straße 28
Guido van Helten, ein fotorealistischer Künstler aus Australien widmete dieses mural der ukrainischen Schriftstellerin, Dichterin und Aktivistin Lesya Ukrainka. Das im Rahmen des CityArt-Projektes gemalte Portrait wurde u. a. durch ihr Gedicht "Lilies of the Valley" (‘конвалія’) inspiriert.
Künstler: Konstantin Skretutsky (ukrainischer Künstler)
Titel: Children
Straße: 10 Striletska Straße
Dieses Wandbild des ukrainischen Künstlers Konstantin Skretutsky entstand bereits 2010 - in der Zeit in der Straßenkunst in Kiew noch in ihren Kinderschuhen stand. Einige der Kinder, die auf diesem Mosaik zu sehen sind, kannte der Künstler persönlich. Sein Bezug zu Kindern zeigt sich auch in anderen murals in der Stadt, aber ebenso im Kinderpark in Kiew, den Skretusky mit seinen lebendigen Skulpturen gestaltet hat.
Künstler: Fintan Magee (australischer Künstler)
Titel: The Gymnast oder Anna Rizatdinova
Straße: Striletska Straße 12
Nicht weit entfernt von dem mural "Children" entfernt, befindet sich ein weiteres Wandbild des australischen Künsltlers Fintan Magee. Es zeigt das Portrait der rhythmischen Sportgymnastin Hanna Rizatdinova, die von der Krim stammt. Ein paar Monate nachdem Russland die Krim annektierte und sich auch die Sportlerin zu dem Geschehen geäußert hatte ("How can Crimea be Russia? How can our Simferopol school train under a Russian flag? I was outraged."), entschied sich Fintan Magee das Portrait von Rizatdinova zu malen.
Künstler: Alexandre Farto (portugiesischer Künstler auch bekannt als Vhils)
Titel: Serhiy Nigoyan
Straße: Mykhailivska Straße 22б
Dieses mural zeigt Serhiy Nigoyan, die erste Person, die während der Maidan-Revolution am 22. Januar 2014 in Kiew starb.
Künstler: Seth x Kislow (französisch-ukrainisches Künstler-Duo)
Titel: Wiedergeburt
Straße: Borychiv Tik Straße 33/6
Dieses mural wurde von einem französisch-ukrainischen Künstlerduo (Julien Malland, auch als Seth Globepainter bekannt und Alexei Kislov, Künstlername Kislow) gemalt und verbindet die typischen Stilarten beider Künstler. Das Wandbild befindet sich seit 2014 auf der Fassade eines 5-stöckigen Gebäudes auf dem Andreasstieg (Andrijiwskyj uswis), eine der ältesten Straßen in Kiew. Das Bild ist in vielen Blautönen gemalt und versprüht einen friedlichen und hoffnungsvollen Eindruck. Auf der Wand sieht man ein junges, streng schauendes Mädchen als Beschützerin der Stadt. Auf ihrer Hand sitzt ein kleiner Junge, der in die Ferne schaut. Das Mädchen trägt traditionelle ukrainische Blumen in ihrem Haar und eine typische Jacke, die Protestierende 2014 auf dem Maidan trugen. Alles in allem symbolisiert das Bild die Wiedergeburt der Ukraine und den Glauben der beiden Künstler in eine bessere Zukunft.
Künstler: Sławomir Czajkowski
Straße: Olesia Honchara Straße 9
Dieses kubistisch anmutende mural ist eines der ersten Wandbilder, die 2011 in Kiew aufgetaucht sind. Slavomir Tchaikovsky, der unter dem Pseudonym Zbiok arbeitet, stellt mit diesem mural die komplexen Beziehungen zwischen Menschen dar.
Titel: King of the Blues B. B King
Straße: Mykhailivska Straße 24а
Die Bluesszene in Kiew ist durchaus sehens- und hörenswert. Aus diesem Grund hat man einer Legende des Blues - B.B. King dieses farbenfrohe kleine mural gewidmet.
Künstlerin: Mata Ruda
Titel: Berehynia (Slavic ancient goddess)
Straße: Taras Shevchenko Lane 1
Dieses mural befindet sich ganz in der Nähe eines geschichtsträchtigen Ortes in Kiew - dem Maidan Nezalezhnosti (Unabhängigkeitsplatz), wo 2014 die Revolution stattfand. Es zeigt eine junge Frau aus dem Südkaukasus/Aserbaidschan. Die Künstlerin Mata Ruda stammt selbst aus Costa Rica und stellt mit Berehynia (eine weibliche Figur aus der slavischen Mythologie) ein Symbol für die Schützerin der Heimat dar. Die Frau ist von Sonnenblumen - der Nationalpflanze der Ukraine - umgeben und einem traditionellen Wollschal mit Blumenmustern.
Künstler: Dmitry Fatum
Titel: Yaroslav the Wise
Straße: Velyka Zhytomyrska Straße 19b
Der ukrainische Künstler Dmitry Fatum porträtierte in diesem bunten und modernen mural den Prinz Yaroslav den Weisen aus Kiew vor seinem Tod, als er einen Ball an seinen Sohn Izyaslav übergab. Der Ball stellt ein Symbol für Macht und Kraft dar.
Künstler: Konstantin Skretutsky
Titel: Talisman
Straße: Velyka Zhytomyrska Straße 23
Der ukrainische Bildhauer Konstantin Skretutsky kreierte hier ein luminiszierendes Wandbild. Hinter diesem mural steht die Idee, dass jeder Verantwortung für seine Stadt übernehmen sollte. Im Dunkeln kann man zwei Psalme und die Zehn Gebote auf dem mural lesen, welches nicht gemalt ist, sondern ein Mosaik ist. Konstantin Skretutsky findet sich auch an einer anderen Stelle in Kiew wieder - er hat den bunten und fröhlichen Kinderpark mit seinen Figuren gestaltet.
Künstler: Franco Fasoli (argentinischer Künstler)
Straße: Desyatinny Lane
Die Entstehung dieses murals im Herzen des historischen Kiew stand zwischenzeitlich stark in der Diskussion. Anscheinend war bereits geplant ein Mosaik einer Kirche in Kiew auf der Wand anzubringen. Nichtsdestotrotz wurde das mural fertig gestellt: Es zeigt einen Mann mit einem Adlerkopf, der eine ukrainische Flagge in der Hand hält. Das Wandbild steht damit im Zeichen der mexikanischen Mythologie.
Eine im Vergleich zu den murals andere aber umso farbenfrohere und fröhlichere Straßenkunst befindet sich in Kiew auf der Peizazhna Allee. Diese Allee entstand in den 1980er Jahren und wurde vom Architekten Abram Miletsky designed. Von hier aus bekommt man einen guten Blick auf Podol, den ältesten Stadtteil in Kiew. Wenn man sich vom Erkunden von Kiew ein wenig ausruhen will, kann man das im "Children Landscape Park" machen, der 2009 entstand. Und hier ist es alles andere als grau.
Es gibt einen bunten Springbrunnen in Elefantenform, riesige lachende Katzen an den Wänden, verliebte Zebras die sich umarmen und Bänke in Form von Krähen, Hasen und Katzen. Ich kam mir ein wenig wie Alice im Wunderland vor, die von der Grinsekatze angelächelt wird. Seit 2010 steht im Park auch eine Statue des Kleinen Prinzen - der Held aus dem gleichnamigen Roman von Antoine de Saint-Exupery. Dieser wunderschöne Park hat ca. 1 Million UAH (Hrywnja) gekostet. 15% davon haben die Anwohner*innen selbst gesammelt, der Rest wurde durch Sponsoren finanziert. Gestaltet wurde er durch die Architektin und (Innen-)Designerin Olga Kondratska, den Bildhauer Konstantin Skretutsky, der oben auch mit zwei murals vertreten ist, die ebenso das Thema Kinder aufgreifen sowie die Künstlerin Lesya Kara Kotsya. Dieser Park ist in jedem Fall einen Besuch Wert - für alle Jungen und im Herzen jung Gebliebenen. Auf der Free Walking Tour mit Free Tours Kiev, welche um 12:00 startet, kann man diesen Park auch besichtigen.
Konstantin Skretutsky hat neben den Figuren im Kinderpark noch weitere niedliche Skulpturen in Kiew geschaffen. Eine davon ist dem Helden des Cartoon-Films “Hedgehog in Fog”/"Igelchen im Nebel" (1975 von Yuri Norstein (Regisseur), Francheska Yarbuzova (Produktionsdesignerin) und Serhy Kozlov (Drehbuchautor)) nachempfunden und steht im Zentrum von Kiew an der Kreuzung der Straßen Zolotovoritska, Reytarska und Heorhiyivska. Der aus Holz gefertigte Igel sitzt auf einem Holzstumpf und hat einen kleinen Sack vor sich. 2003 wurde der "Igelchen im Nebel" auf dem Tokio Laputa Animationsfilmfestival unter 140 Filmkritier*innen zum besten Animationsfilm aller Zeiten gewählt.
In einem der Bäume an der Volodymyrska Straße 40-A befindet sich eine ganz besondere Katze in einem Baum. Sie besteht aus 600 Plastikgabeln und wurde auch von dem Künstler Konstantin Skretutsky geschaffen. Ganz in der Nähe des Goldenen Tors (ein historisches, befestigtes Stadttor) befindet sich eine weitere Katze - diesmal eine Bronzestatue. Sie ist eine Hommage an Pantyusha, eine der berühmtesten Katzen der Ukraine. Er lebte in dem italienischen Restaurant Pantagruel seit dem es 1995 eröffnet hatte und war ein Liebling bei den Gästen und den Anwohner*innen. 1997 starb der Kater bei einem Feuer in dem Restaurant. Daraufhin sammelten die Anwohner*innen Geld, um diese Statue in Erinnerung an Pantyusha erstellen zu lassen. Wenn man ihre Ohren reibt, soll dies übrigens Glück bringen.
Neben Tieren erstellt Skretutsky aber auch menschliche Skulpturen. Eine davon ist eine grazile Ballerina an der Kreuzung der Striletska und Stritenska Straße, die der Künstler auf Wunsch der Anwohner*innen gestaltet hat. Ihr Podest ist aus einem Holzstamm, ihre Arme und ihr Gesicht sind aus Keramik und das Tutu aus Hasendraht.
Dies ist nur eine kleine Auswahl an Straßenkunst, die es in Kiew zu entdecken gibt. Wart ihr schon einmal in Kiew? Welche Straßenkunst hat am meisten Eindruck bei euch hinterlassen?
Mehr Street Art, die wir entdeckt haben, zeigen wir euch hier.
Noch mehr Inspiration zu street art auf der ganzen Welt findet ihr bei dem Round up von Gin des Lebens.